Chapeau, Hendrik Weydandt
Die besondere Leistung des 3. Spieltags
„Oh, là, là, das war ein verflixt schweres Tor“, sagt Dieter Schatzschneider, der es wissen muss und sogleich die Gefahren bei der Hand hat: „Die einen hauen ein furchtbares Loch in die Luft. Die anderen pfeffern den Ball in die dritte Kurven-Etage.“
Doch Hendrik Weydandt hat sich um all diese Blamagen, die in diesem Moment hätten ausgelöst werden können, keine Gedanken gemacht. Und deshalb hat das so heißblütig umkämpfte Derby zweier in unmittelbarer Nachbarschaft agierender Kultklubs in dieser 71. Spielminute bereits seinen Sieger gefunden.
Als sich sein Teamkollege Marvin Ducksch voller Rasanz am rechten Flügel durchsetzen konnte und der Ball in Windeseile den am Elfmeterpunkt positionierten Weydandt erreicht, hat der voller Entschlossenheit und Standfestigkeit per Dropkick zum 2:1 ins Braunschweiger Gehäuse getroffen. Und Eintracht ist in diesem Augenblick knockout gegangen.
Echter „Neuner“ wieder gefragt
„Der Typus boomt wieder“, sagt Schatzschneider begeistert über Hendrik Weydandt und meint damit auch, dass hier bei Hannover 96 endlich einmal wieder jemand das Trikot mit der Rücken-Nr. 9 trägt, der diese Position punktgenau so auf das Spielfeld zu bringen vermag, wie dies ursprünglich gemeint war: „Endlich baut die Fußballwelt wieder auf diese echten Neuner, auf diese vorne drin präsenten Mittelstürmer.“
Sagt der, der einst auch einer ihnen war und mit 154 Treffern in 201 Auftritten der erfolgreichste Torschütze in der Geschichte der 2. Bundesliga ist: Dieter Schatzschneider.
Dass Weydandt einmal diese Quote verbessern wird, glaubt Schatzschneider nicht eine Sekunde lang. „Weydandt ist Bundesliga – und zwar 1. Bundesliga. Er kann in jedem Kader in der Bundesliga eine sinnvolle Rolle spielen“, stellt „Schatz“ klar. In jedem? Schatzschneider: „Ja, in jedem! Ich bin von Weydandt komplett überzeugt.“
Und stolz darf er obendrein ein wenig sein, dass der Hochgelobte an Bord ist bei 96. Noch immer und grundsätzlich. Denn seit zwei Jahrzehnten gilt Schatzschneider als erfolgreicher Schatzsucher für Hannover 96: So hat er auch 1.95-Meter Lulatsch aus Egestorf aufgetrieben. Hat dessen Auftritte in der Regionalliga immer und immer wieder unter jener Lupe wahrgenommen, mit deren Hilfe große Vorstellungskräfte entstehen können.
Profi- statt Dorffußball
Denn Weydandt hat niemals auch nur einen einzigen Ausbildungstag in einer der Fußball-Akademien verbracht. Ist niemals in eine Verbandsauswahl berufen worden. Nein, Weydandt hat – mit Verlaub – Dorffußball vor den Toren Hannovers gespielt, machte Abitur und studierte BWL. Um danach im väterlichen Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen einzusteigen.
Allein dies war sein Lebensentwurf in den Jahren zwischen 17 und 23. Doch Dieter Schatzschneiders Visions-Scouting veränderte vor zwei Jahren alles. Weydandt rückte allen anderweitigen Trends und Vorbehalten zum Trotz auf den Bundesligakader von Hannover 96.
Und Dieter Schatzschneider begründet seine Überzeugungskraft für die damalige Komposition einer ungewöhnlichen Zukunftsmusik so:
Erstens: „Hendrik verfügt über ein überragendes Kopfballspiel, mit dem er sich – vorne wie hinten – effektiv einbringt.“ Zweitens: „Hendrik wehrt sich, hält den Ball fest, fällt nicht gleich um, wenn er attackiert wird. Hat den Kopf immer oben.“ Drittens: „Hendrik besitzt die Fähigkeit, sich unermüdlich in den Dienst der Mannschaft zu stellen.“
Und last but not least: „Hendrik hat in der Regionalliga Jahr für Jahr viele Treffer erzielt. Und wer so viele Tore schießt, entwickelt ein stabiles Selbstbewusstsein.“
In diesem Sommer schien Weydandt allerdings schon wieder verloren zu sein für 96. Denn Weydandt war nach zwei Spielzeiten plötzlich frei. Völlig frei. Ohne Vertrag. Denn als er den Zuspruch seines Vereins gebraucht hätte, weil es eine Zeitlang nicht sonderlich gut gelaufen war bei ihm, hatten die Entscheider bei 96 das Timing verpasst, ihn frühzeitig zu binden.
Am Ende lief es wieder besser bei Weydandt und bei Hannover 96 generell. Auch dank der guten Arbeit des Trainers Kenan Kocak. Doch HSV, Werder und Union nahmen Kontakt auf – alles war plötzlich möglich für Weydandt.
Kind gibt grünes Licht
Im wohl allerletzten Moment hat Schatzschneider mit seinen Argumenten für Weydandt den Patron von Hannover 96 gewinnen und überzeugen können. Martin Kind, Chef des Unternehmens Profifußball bei 96, gab grünes Licht für ein neues Finanzierungskonzept auf der Basis eines neues Dreijahres-Vertrages. Nun ist Weydandt einer der Bestverdienenden im 96-Team.
„Ich hätte mich grün und blau geärgert, wenn wir Weydandt ablösefrei hätten ziehen lassen müssen“, bemerkt Dieter Schatzschneider. Spürbar glücklich über diesen Last-Minute-Deal, der einmal zu einem attraktiven Geschäft für 96 geraten kann.
Doch Schatzschneider gibt auch zu, dass er es ein wenig bedauert, beim aktuell spektakulärsten Transfer in der 2. Bundesliga nicht erfolgreich gewesen zu sein: „Wir hätten Hendrik Weydandt gern Guido Burgstaller an die Seite gestellt“, verrät Schatzschneider im Gespräch mit Liga-Zwei.de und begründet seinen Seufzer über den verpassten Schachzug so: „Seine Tore wären uns Wurscht gewesen. Aber seine Mentalität hätte uns noch perfekt zu Gesicht gestanden. Unsere Drei dort vorne – also Weydandt, Ducksch und Maina – sind verdammt gut, doch immer noch viel zu lieb zumeist.“
Tanzstunden als Stürmertraining
Parallel zum fußballerischen und gesellschaftlichen Aufstieg bei Hannover 96 steht Hendrik Weydandts Privatleben auf höchst kultivierten und sportlichen Beinen. Seine große Nähe zur renommierten Tanzschule Bothe mit Sitz in Hannover und in Burgwedel hat neben persönlichen Herzensanliegen auch einen außerordentlich sinnvollen Nebeneffekt: Regelmäßige Tanzstunden sind auch gut für die Beweglichkeit des Positionsspiels eines Mittelstürmers.
Nun, wer wie Hendrik Weydandt so viel Körperlichkeit beherrscht und obendrein zunehmend mit flinken Füßen unterwegs ist, der wird wohl weiterhin so spektakuläre Treffer erzielen können wie bei diesem frischen Triumph im Derby.
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