Chapeau, Serdar Dursun
Die besondere Leistung des 18. Spieltags
Wer auf die Idee käme, diesen charismatisch gestylten, zweifachen Torschützen mit der Trikot-Nr. 19 nach seinem sportlichen Vorbild zu befragen, täte wohl Überflüssiges. Als Serdar Dursun nach getaner Arbeit dem Sportschau-Reporter Rede und Antwort steht, genügt ein Blick auf seine Frisur, die am Ansatz zur Stirn eine flach getrimmte Völle und oben drauf einen akkurat gebundenen Dutt herausstellt.
Eben noch hat Dursun im Stile eines Mittelstürmers der Spitzenklasse für Darmstadt 98 zwei wunderbare Treffer gegen den großen Hamburger SV erzielt.
Doch jetzt steht er voller Stolz mit kerzengerader Gardemaß-Haltung und gepflegtem Kinnbart vor der TV-Kamera, sieht dabei haargenau so aus wie der große Zlatan Ibrahimovic und begründet sein Meisterstück so: „Als Hamburger Junge gibt man in einem Match gegen den HSV nun einmal besonders viel Gas.“
Ja, wenn dies alles nur schon immer so einfach gewesen wäre im Fußballer-Leben des nunmehr 28 Jahre alten Serdar Dursun wie die aktuellen Saisontreffer Nummer fünf und sechs gegen den Tabellenzweiten.
Wir beschreiben zwei Treffer in zwei Paradedisziplinen des Mittelstürmerspiels: Darmstadts 1:1 entsteht, weil Dursun Hollands Flankenball von der linken Seite blitzschnell auf Höhe des sogenannten ersten Pfostens ersprintet und per Direktschuss im Hamburger Tor unterbringt.
Darmstadts 2:2 entsteht, weil Dursun nach Kempes Schuss den Abpraller erahnt. Somit gut vorbereitet im Fünfmeterraum zur Stelle ist und erfolgreich nachschießt.
Doch Dursuns Karriereweg verlief weiß Gott nicht immer mit so viel Aktionsfluss, wie es diese beiden jüngsten Vorzeigetreffer vermuten lassen könnten.
„Im Gegenteil“, sagt Andreas Bergmann und kramt für Liga-Zwei.de in seinen Erinnerungen: „Was sein Talent betrifft, so ist ihm aus der fußballerischen Feinkostabteilung nicht sonderlich viel in den Schoß gefallen. Serdar hat immer gewusst, dass er sich alles hart erarbeiten muss, um nun das zu sein, was er aktuell ist: Einer der spannendsten Centerstürmer in der 2. Bundesliga.„
Wenn Dursun berichtet, gegen den HSV vielleicht noch wenig motivierter gewesen zu sein als seine Darmstädter Teamkollegen, dann mag dies womöglich auch mit einer empfundenen Kränkung zu tun haben.
Er wuchs zwar in Hamburg auf und war dort auch als Stürmertalent auf den Fußballfeldern aktiv, doch weder der HSV noch der FC St. Pauli hatten ein Interesse daran, diesen damals noch so schlaksigen, eher unrund und unorthodox agierenden Angreifer des Juniorenteams von Concordia Hamburg final auszubilden.
Potenziale erst auf dem zweiten Blick erkennbar
Weitaus mehr Fantasie entwickelte Andreas Bergmann. Der Fußball-Lehrer leitete 2008 das Nachwuchsleistungs-Zentrum von Hannover 96, als er Serdar Dursun erstmals erlebte und ihn danach direkt in das U19-Team der 96er steuerte. „Trotz aller Bedenken entdeckten wir bei Serdar etwas Besonderes, etwas Einzigartiges und somit etwas Förderungswürdiges. Potenziale, die erst auf den zweiten und dritten Blick erkennbar gewesen sind“, erklärt Bergmann.
Drei Jahre dauerte diese Ausbildung bei Hannover 96, an die sich Bergmann gern erinnern mag. Denn Dursun war anders als die meisten anderen.
Anders als die von Gottes Gnaden mit Talent im Übermaß beschenkten Fußball-Azubis in der Hochwertausbildung eines Bundesligaklubs hat Dursun ein Profil gezeigt, das andere Werte verkörperte.
„Serdan imponierte mit einer Topeinstellung, mit seiner Begeisterung daran, sich stetig verbessern zu wollen und mit seiner Fähigkeit, auch größten Widerständen erfolgreich trotzen zu wollen. Ich mochte seinen Fleiß, seine Willenskraft und seine Unverdrossenheit. Also diese Kultur in ihm, die ihm die Kraft gab, niemals aufzugeben“, berichtet Bergmann weiter.
Als sich Dursun vom Junioren-Fußball verabschiedete und in das U23-Team von Hannover 96 aufrückte, war Andreas Bergmann nun auch Dursuns Trainer. Die Konkurrenz war groß und Dursun somit keineswegs immer erste Wahl im Talenteschuppen der 96er.
Marcel Halstenberg, heute Nationalspieler und mit RB Leipzig auf Meisterschaftskurs, war damals in Hannover dabei. Ebenso Gießelmann und Avevor, die ebenfalls noch nicht bei Hannover 96 sondern erst später und andernorts den Durchbruch schafften.
„Auch wenn er eine Zeitlang nur von der Bank kam, hat Dursun nie aufgesteckt und nie rumgemault. Nein, auf ihn war immer Verlass und in seiner eigenen Art war er immer auch immer ein torgefährlicher Angreifer“, erklärt Bergmann.
In der Türkei war er der lange Deutsche
Auch Dursun suchte nach drei Spielzeiten bei Hannover 96 sein Fußballglück woanders. In der Heimat seiner Eltern sammelte er weitere Erfahrungen, doch der Traum vom großen persönlichen sportlichen Triumph blieb für ihn auch dort unerfüllt. In fünf Spielzeiten trug er das Trikot vier verschiedener Vereine, doch die Süperlig, die Bundesliga der Türkei, war nicht darunter.
„Der lange Deutsche“, wie er dort wegen seiner 1.92 Meter Körperlänge und seiner Hamburger Herkunft genannt wurde, galt auch dort als nicht gut genug für große Ziele.
So nutzte Dursun 2016 die Chance zur Rückkehr in die hiesigen Fußballstadien. Die SpVgg Greuther Fürth lud zu einem Leistungs-Check ein. Dursun bestand erst den Test und erzielte dann in zwei Spielzeiten 13 Ligatreffer. Endlich gab es viel Anerkennung und einen Zugewinn an Reputation als Centerstürmer in der 2. Bundesliga.
Diese Konjunktur war Darmstadt 96 vor anderthalb Jahren rund 350.000 Euro Ablöse wert, um den Ibrahimovic-Typus ans Böllenfalltor zu holen. Jetzt ist er im zweiten Jahr in Darmstadt aktiv. Bisher 18 Treffer in 51 Einsätzen und es läuft immer besser für Dursun.
„Ich freue mich mit Serdar Dursun darüber, dass es ihm gelungen ist, diesen Sprung in die 2. Bundesliga zu schaffen. Er hat sich alles selbst erarbeitet. Mit seiner unbändigen Bereitschaft zu einer ganzheitlichen Bereitschaft zur Professionalität“, sagt Bergmann abschließend.
Wie ein Pakt der Solidarität
Seine Sympathien für Dursun wirken wie ein Pakt der Solidarität. Auch Andreas Bergmann hat als Cheftrainer in den großen Spielklassen nicht immer die nötige Rückendeckung erhalten, so dass eine dauerhafte Präsenz im Rampenlicht des Fußballs für ihn nicht realisierbar war.
Denn Bergmann war beim FC St. Pauli, bei Hannover 96, beim VfL Bochum und bei Hansa Rostock wohl eben nicht mit der Kraft unterwegs, um sich ständigen Widerständen erfolgreich entgegenzustemmen. Umso mehr gefällt Bergmann, dass Dursun, sein Schüler, diese Kraft nie verlor.
Und so steht Serdar Dursun heute besser da, als viele andere Spieler, die sich primär auf ihre hochgelobte fußballerische Hochbegabung verlassen haben. Viel besser, nicht allein wegen seines trefflichen Ibrahimovic-Stils.
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