Chapeau, Daniel Thioune
Die besondere Leistung des 33. Spieltags
Eine halbe Stunde nach getaner Arbeit blickt Daniel Thioune in das vor ihm platzierte das PK-Mikrofon, überlegt sich seine ersten Worte und kommt zu der Entscheidung, sich die Zeit zu nehmen für eine Aussage, die einem Stoßgebet ähnlich ist.
„Wir sind dankbar“, sagt Thioune mit einem verschmitzten Lächeln in den Augen, „wir sind dankbar, weiterhin ein Teil der 2. Bundesliga zu sein.“
Die gehaltvollen Dankbarkeitsgefühle eines überglücklichen Redners, sich an diesem Tag mit seinem VfL Osnabrück im vorletzten Moment ans rettende Ufer durchgekämpft zu haben, wirken aus dem Munde dieses Fußballtrainers in diesem Moment nicht eine Sekunde lang gespielt, aufgesetzt oder gar peinlich.
Nein, dieser Daniel Thioune erscheint seinen Zuhörern durch und durch glaubwürdig, ehrlich und überzeugend. Bis zu den Haarspitzen. Daniel Thioune war selber lange genug als Fußballprofi aktiv.
Hecking, Dietz und Gelsdorf waren Lehrmeister
In der 2. Bundesliga hat er so unbeugsame Lehrmeister wie Dieter Hecking (beim VfB Lübeck), Bernard „Enatz“ Dietz (RW Ahlen) oder Jürgen Gelsdorf (ebenfalls in Osnabrück) mit ihren Werten erleben und in ihren Methoden studieren können. Und voller Empathie und Wachsamkeit ist Thioune überall so klug gewesen, das jeweils Beste von alledem in seine eigene Persönlichkeit zu transformieren.
Ole Book und Daniel Thioune spielten sich in gemeinsamen Zweitliga-Auftritten bei Rot-Weiß Ahlen nicht nur gemeinsam im Mittelfeld die Bälle zu. Sie nutzten die gemeinsame Zeit auch zu zahllosen Gesprächen. Ole Book, der parallel Psychologie studiert hat, erinnert sich gern an seinen damaligen Kollegen.
„Es war schon früh zu erkennen, dass Danny ein guter und cleverer Trainer werden kann. Als Spieler hat er sich bei uns in Ahlen als geborener Kapitän bewährt. Er war schon damals mit einer präsenten, doch natürlichen Autorität aktiv und setzte sich immer vorneweg für unser Team ein“, beschreibt Book, inzwischen ebenfalls – als Sportchef bei der SV 07 Elversberg – verantwortlich für die Gestaltung einer Profimannschaft.
So glaubt Ole Book auch zu erahnen, mit welch einer enormen befreienden Erleichterung Thioune nun endlich wieder in eine hoffnungsvolle Osnabrücker Fußball-Zukunft blicken kann.
„Zwei Jahre hintereinander mit dem VfL so erfolgreich zu sein: Erst souverän aufzusteigen und nun mit großer Besonnenheit diese Gefahr des Abstiegs gegen so starke Konkurrenz abzuwehren, stellen großartige Leistungsnoten in sein Trainerzeugnis. Danny hat sich alles hart erarbeitet und freue mich mit ihm, das dies alles nicht schon wieder kaputtgegangen ist“, bemerkt Book weiter und lässt uns einen Blick darauf werfen, wie problematisch und bedrohlich Thioune und sein Team durch das Fußballjahr 2020 geruckelt sind.
Wie der Triumph über den HSV Realitäten verklärte
Denn als die Liga Halbzeit hatte, schien noch alles bestens. Mit 26 Zählern und Rang fünf in der Tabelle der 2. Bundesliga mischten sich in so manch Osnabrücker Weihnachtsfest offenbar voreilige Vorfreuden auf einen dauerhaften Platz an der Fußball-Sonne. Der Triumph über den HSV war einerseits großartig, doch er war im Nachhinein ebenso gefährlich, weil er ein Stückweit die Realitäten verklärte.
So ist Daniel Thioune mit seinen Kämpfern von der Bremer Brücke in dieser nervenaufreibenden Finalrunde nach der Beendigung der Corona-Zwangspause in einen bösen Strudel geraten. Vor dem Break mussten sie verarbeiten, von 15 möglichen Zählern nur einen einzigen Punkt geholt zu haben. Und seit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs mussten sie die Erfahrung verkraften, dass der Sturz hinunter ins Souterrain der Tabelle schier unaufhaltsam schien.
Denn wer so wenig gewinnt, bei dem gehen die Leichtigkeit des Seins und auch das Selbstvertrauen verloren. Doch Daniel Thioune ist immer optimistisch geblieben. War die jeweils aktuellste Niederlage auch noch so schmerzlich.
Das aktuelle 4:1 über Holstein Kiel war erst der zweite Dreier in diesen Wochen der Angst. Doch dieser Sieg reicht nun aus, um einen Weg zu stoppen, der in den vergangenen Wochen so manches Mal an den Absturz der Würzburger Kickers vor drei Jahren erinnerte. Unvergessen: Nach einer erfolgreichen Hinrunde mit 27 Punkten nach 17 Spielen gelang den Kickers in der Rückrunde kein einziger Sieg mehr. So beendeten sie die Spielzeit mit 34 Punkten, als Tabellenvorletzter und mit dem Abstieg. Diese Fallstudie eines fußballerischen Extremabsturzes ist seither das deutlichste Warnsignal für Himmelsstürmer, für Utopisten und für Träumer in Fußballschuhen.
„Wir dürfen nicht in Problemen unterwegs sein sondern in Lösungen“. Dieses Statement hat Daniel Thioune in schwierigen Zeiten in Osnabrück zu seiner Arbeitsmaxime erkoren.
Kein Zweifel. Thioune hat das verdammt gut gemacht in diesen schwierigen Zeiten.
Wenn am kommenden Sonntag dieses merkwürdige Kapitel in der Geschichte der 2. Bundesliga geschlossen wird, könnte der VfL Osnabrück zwar in der Tabelle der Rückrunde immer noch Schlusslicht sein. Doch was soll’s, schließlich ist man beim VfL dankbar, weiterhin ein Teil der 2. Bundesliga zu sein.