Chapeau, Kevin Behrens

Die besondere Leistung des 34. Spieltags

Autor: Luis Hagen Veröffentlicht: Dienstag, 30.06.2020 | 11:00
Kevin Behrens schließt gegen Bochum ab.

Mit 14 Saisontoren traf kein SVS-Akteur so häufig wie Kevin Behrens. ©imago images/DeFodi

Sandhausen. Eine stille Gemeinde. Eine Hauptstraße, ein halbes Dutzend Dienstleister, ein paar Häuser und Kirchen sind im Jugendstil verewigt. Auf Sandhäuser Sand wurde früher Hopfen angebaut, heute noch ein wenig Tabak. 16.000 Einwohner. 90 Prozent davon pendelt nach Mannheim oder Heidelberg.

Einziger Werbeträger hier: Der SV Sandhausen als Mitglied der 2. Bundesliga. Dessen Stadion, liegt dort, wo es jetzt besonders grün ist.

Am Rande des Hardtwalds. Zu den wenigen, die in Sandhausen sowohl leben als auch arbeiten, gehört Kevin Behrens. Der gebürtige Bremer ist 29 Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder. Von Beruf ist er Fußballprofi. Seit zwei Jahren spielt er hier. Ist zuständig für das Toreschießen.

Per Katapult ins Blickfeld

Diesen Job hat er noch niemals zuvor verlässlicher erledigt als jetzt: 14 Treffer, sieben Torvorbereitungen in 32 Ligaspielen katapultieren ihn ins Blickfeld des großen Fußballs. Und mit ihm den ganzen SV Sandhausen. Vor allem jetzt.

Der ewige Underdog des Profifußballs hat allen Unkenrufen zum Trotz wieder einmal selbstbewusst seine sportlichen Fähigkeiten in die Waagschale geworfen und sich in einem hammerharten Wettbewerb zum achten Male einen Startplatz in der 2. Bundesliga sichern können.

Doch damit noch nicht genug des sportlichen Ruhms: Im aktuellen Saisonfinale beim großen Hamburger SV ist dem SV Sandhausen ein spektakulärer Auftritt geglückt, wie er auffälliger, sympathischer und werbewirksamer nicht hätte ausfallen können.

Aufgegangen in der Rolle des Züngleins an der Waage

Denn dieser große 5:1-Triumph bleibt nicht im eigenen Fußball-Land allein. Er ist in diesen Tagen unterwegs um die Welt, weil der SV Sandhausen schier aufgegangen ist in seiner Rolle als das Zünglein an der Waage.

„Wir haben uns in allen Belangen in eine absolute Topleistung hineingearbeitet. Mit höchster Intensität, bestmöglicher Laufbereitschaft sowie mit gnadenloser Entschlossenheit im Vorwärtsgang“, erklärt Uwe Koschinat im Gespräch mit Liga-Zwei.de. Hierbei ist ihm anzumerken, wieviel Rückenwind, Bestätigung und Stolz dieser jüngste Vortrag seiner Jungs hervorgerufen hat.

Doch Uwe Koschinat ist sich auch bewusst darüber, dass die starke Vorstellung seiner feurig und mutig auftrumpfenden Kicker auch diesmal allein nicht ausreichend gewesen wäre, um eine derart breitgefächerte Publicity aus einem Fußballspiel zu rekrutieren, wie dies nun der Fall gewesen ist.

SVS-Coach Uwe Koschinat

Uwe Koschinat will die Wucht von Kevin Behrens nicht mehr missen. ©imago images/pmk

An Sandhausens Bestleistung gibt es nichts zu rütteln, doch sie bliebe auch diesmal allein ein sportlicher Achtungserfolg, wenn da nicht die Konsequenzen für den Gegner so eminent gewichtig sein würden. Denn der große HSV war die Verpflichtung eingegangen, im zweiten Anlauf wieder zurückzukehren ins Fußball-Oberhaus. Doch Sandhausen vollzog das finale Scheitern und diktiert nun viele Schlagzeilen hinaus in die Welt.

Körperliche Präsenz

Wenn das Ereignis in Hamburg einen Namen braucht, der sich um den Knockout des HSV besonders auffällig verdient machen konnte, dann ist dies Kevin Behrens. Beim 1:0, bei dem er van Drongelens Eigentor erwirkt hat, und beim 2:0 für Sandhausen überrumpelt er mit einer vorbildlichen Zentralpräsenz die Verteidigung des HSV. Beim spielentscheidenden 3:1 ist er ein eiskalter Strafstoßschütze.

Der kraftvolle „Modellathlet“ mit dem Potenzial für einen Men‘s-Health-Titel hat die Gunst der Stunde besonders eindrucksvoll nutzen können und dabei auch ein Musterbeispiel dafür geliefert, dass die zentrale Angriffsposition am effektivsten mit körperlicher Präsenz besetzt ist.

über seinen bevorzugten Stürmertyp
„ Ich würde am liebsten immer mit zweien von der Sorte Behrens auflaufen. ”
Uwe Koschinat

Dazu erklärt Uwe Koschinat dies: „In meinem Verständnis von Offensivfußball braucht es diesen Typus des Prellbocks, der mit voller Körperlichkeit, mit viel Wucht und bedingungslosem Einsatz das Angriffszentrum ausfüllt.“

Und mit einem spitzbübischen Zusatz bemerkt er noch dies: „Ich habe diesen Trend mit der ‚falschen Neun‘ nie verstanden. Ich würde am liebsten immer mit zweien von der Sorte Behrens auflaufen.“

Wir wissen nicht, ob sich Sandhausen in dieser Angelegenheit nunmehr auf den Märkten umschauen wird oder ob Uwe Koschinat dem 33 Jahre alten Aziz Bouhaddouz eine solche Rolle zukünftig an der Seite von Behrens zutraut. Sicher ist es indes, dass Behrens um das Aktionsfeld im Angriffszentrum des SV Sandhausen nicht mehr fürchten muss.

Bei Werder Bremen in die 3. Mannschaft gesteckt

„Wenn Kevin als Rechtsaußen stürmt, ist er nicht derselbe Behrens, der im Zentrum lauert. Wer ein echter Mittelstürmer ist, der muss auch primär mittig stürmen dürfen“, sagt nochmals Koschinat und bekräftigt sogleich die Sache mit der optimalen Positionierung: „Im Kombinationsfußball hat Behrens nicht seine Stärken. Würden wir ihn dort einbinden, ließen wir seine Waffen verpuffen.“

Früher war das zuweilen anders und früher war auch Kevin Behrens noch anders. Kam er nicht auf Touren, war er leicht reizbar. Verzettelte sich zuweilen in Irritationen und Provokationen. Einst bei Werder Bremen haben sie ihn strafend in die dritte Mannschaft gesteckt. Er wurde bei RW Essen vor die Tür gesetzt und im Trikot des 1. FC Saarbrücken ausgerechnet im finalen Aufstiegsduell mit den Sechzigern aus München mit Rot vom Platz gestellt. Saarbrücken verpasste zu zehnt den greifbar nahen Aufstieg in die 3. Liga.

über Behrens' Reifeprozess
„ Er ist nicht wegzudenken aus Sandhausen. ”
Uwe Koschinat

„Ja, ich habe zwei Gesichter“, hat Kevin Behrens eine Zeitlang über sich gesagt. Doch jetzt hat es Uwe Koschinat geschafft, den Bestandteil aus Wildheit, Unkontrollierbarkeit und Explosivität in eine hohe Bereitschaft zur Abgeklärtheit, Gelassenheit und Disziplin zu kanalisieren.

Und so ist die aktuelle Beurteilung beim SV Sandhausen ein Zeugnis voller Bestnoten. Nochmals Uwe Koschinat: „Kevin hat mit seinem Reifeprozess bei uns eine außergewöhnliche Entwicklung genommen. Er ist nicht wegzudenken aus Sandhausen. Nicht als Fußballer und nicht als Mensch.“

Und so kann wohl auch die Gemeinde Sandhausen inzwischen richtig stolz sein auf ihren Bürger namens Behrens, der als Dienstleister in Sachen Fußball besonders erfolgreich ist.