Chapeau, Andreas Rettig

Die besondere Leistung des 6. Spieltags

Autor: Luis Hagen Veröffentlicht: Dienstag, 17.09.2019 | 15:55
Andreas Rettig beim FC St. Pauli

Andreas Rettig darf sich ruhig selbst applaudieren, findet nicht nur unser Autor. ©Imago images/DeFodi

Es war das letzte Heimspiel von Andreas Rettig als Spiritus Rector, als treibende Kraft, als kluger Kopf mit Fußballhirn sowie – schlicht und nüchtern formuliert – als Geschäftsführer des FC St.Pauli. Der Triumph im Derby über den großen HSV gestern Abend ist primär auch für ihn zum Abschied ein perfektes großes Vergnügen. Denn sein Anteil an Leistungs- und Stimmungswandel am Millerntor ist riesengroß.

Andreas Rettig verlässt einen Arbeitsplatz in gesamtverantwortlicher Position – wie immer – aus eigenem Antrieb. Keinen Tag zu früh und keinen Tag zu spät. Rettig findet immer das richtige Timing: Dies war in Freiburg so, wo nach vier Jahren für ihn schlichtweg alles erledigt war. Beim 1. FC Köln, wo es aus seiner Sicht nach dreieinhalb Spielzeiten für ihn persönlich nichts mehr zu gewinnen gab, setzte er ein Fanal für die Glaubwürdigkeit des zunehmend ins Gerede gekommenen professionellen Fußballs.

Rebell, Verbesserer und Modernisierer

Als der von ihm installierte Trainer (Rapolder) scheiterte, ging er gleich mit. Ein einmaliger Solidaritätsbeweis. Eigenverantwortlich verabschiedete er sich auch aus Augsburg, wo mit Aufstieg und Verbleib das Bundesliga-Spielfeld für einen Nachfolger nach sechs Jahren bestens bestellt war.

Auch die Trennung von der DFL nach zwei Jahren war selbstbestimmt. Auch weil Rettig, als Musketier des ehrlichen, traditionellen Fußballs sich nicht immer im Reinen fühlte mit dem, was sein Arbeitgeber als Betreiber der beiden Bundesligen so alles zu tun beabsichtigt.

Nicht nur auf der Weltbühne des Fußballs gilt Andreas Rettig als Rebell, Verbesserer und Modernisierer mit ganzheitlicher Sicht auf die vielfältigsten Entwicklungen. Auch klubintern heißt es, er sei keineswegs immer und für jeden bequem. Natürlich nicht, ein Macher wie er hat Ecken und Kanten. Doch wohl niemand wird ihm etwas nachtragen dort. Denn zweifellos hat er viel geleistet beim FC St. Pauli.

Besonders nachhaltig in Erinnerung das Saisonfinale der 2. Bundesliga vor drei Jahren: Pauli schien abgestiegen, war in der Winterpause Tabellenletzter. Zum Start in die entscheidende Rückrunde verließ Rettig erstmals in seiner Pauli-Ära seinen Tribünenplatz und kehrte – wie so häufig in früheren Zeiten – zurück an die Rampe des Spielfeldes und nahm an der Seite Ewald Lienens aktiv und entscheidend aktiv Anteil am Matchcoaching. Der Ligaerhalt mit einem Pünktchen Vorsprung war am Ende vor allem sein Triumph.

Ja, Andreas Rettig ist ein Mann, der genau weiß, wann alles getan und geregelt ist. Erst dann ist er bereit zu gehen, wie jetzt beim FC St. Pauli.

Meister der Luhukay-Krise

Als Luhukay Anfang August öffentlich rebellierte und die Mannschaft sich von ihm zu entfernen schien, muss Rettig instinktiv wohl genau das getan haben, was er wohl immer tut in solchen Fällen. Er ist doch noch einmal ganz nahe herangerückt an den Pulsschlag des Hamburger Kiezfußballs.

Denn wenn noch jemand diesen einerseits hochexplosiven und anderseits so hochsensiblen Fußball-Lehrer aus den Niederlanden wieder justieren konnte, dann ist dies Andreas Rettig. Schon aus Augsburg ist bekannt, dass er einige Brandherde zwischen dem Trainer und seiner Mannschaft mit viel Fingerspitzengefühl löschen konnte.

Die aktuelle Sorge war berechtigt. Es ruckelte, ratterte und knatterte in den frühen Wochen dieser Spielzeit am Millerntor. Unüberhörbar, unübersehbar, alles medial verbreitet. Und Rettigs Schützling Jos Luhukay, der penibel darauf Wert zu legen pflegt, dass die Dinge sportlich genau so zu laufen haben wie er es sich vorstellt, drohte ein frühes Scheitern wie vor drei Jahren beim VfB Stuttgart.

Damals wie heute dieselben auffälligen Disharmonien: Öffentliche Kritik an Personalpolitik, Kompetenz und Zielvorgaben seines neuen Arbeitgebers. Andreas Rettig höchstselbst war es doch schließlich gewesen, der diesen Fußball-Lehrer noch am Millerntor installiert hatte. Quasi als Abschiedsgeschenk, weil er mit ihm einst in Augsburg aufs richtige Pferd gesetzt hatte, in die Bundesliga aufgestiegen und dort dringeblieben ist. Und ihn somit besser kennt als jeder andere in dieser Fußballnation.

Weil Luhukay niemandem so sehr vertraut wie Rettig, konnte die neue Harmonie in aller Stille entwickeln. Es blieb still, um Einfluss zu nehmen, die Stimmung zu korrigieren, die Wogen zu glätten. So ist es Rettig, dem wachsamen Mediator, nicht hoch genug anzurechnen, wohl rechtzeitig in den Konflikt eingegriffen zu haben.

Stiller Genießer, leiser Abschied

Und gestern Abend nun der große Durchbruch. Das hochverdiente 2:0 über den großen HSV, der souveräne sportliche Auftritt des eigenen Teams, die wiederhergestellte Reputation des plötzlich so fröhlich aufblickenden, schelmisch lächelnden und auskunftsfreudigen Jos Luhukay und das komplett durchsingende Millerntor-Publikum machen den Rahmen so rund, so freudig und so würdig, dass er Rettig im Sinne des Wortes rundum gerecht wird.

Die positiven Veränderungen des Jos Luhukay im Umgang seinen Kiezkickern waren nicht zu übersehen: Begeisternd sein aktives Coaching, heiter seine Mimik, optimistisch seine Statements. Die Kommunikation untereinander sichtbar lebendig. So einfach kann es also gehen.

Rettig selbst trat dabei nicht noch einmal ins Licht der Öffentlichkeit. Vielleicht hat er stattdessen beruhigt seinen Schreibtisch geräumt.

Geredet hat dafür sein Freund Axel Prahl, der im Münster-Tatort als Pauli-Fan die Mörder fängt. Bei Yannik Erkenbrecher trat er vor die Kamera des Übertragungssender Sky. Und dort verriet der beliebte Mime sichtlich aufgekratzt: „Andi Rettig und ich haben mit einem Gläschen Champagner auf diesen großartigen Fußballabend angestoßen.“

Chapeau, Andreas Rettig und wir von Liga-Zwei.de finden obendrein: Ein so spektakuläres und beschwingtes Finale am Millerntor haben Sie sich allemal verdient.

Schon Mitglied bei Wettanbieter Interwetten? Jetzt aktuelle Interwetten Gratiswette sichern und 35€ für deine Wette auf den Derby-Sieger bekommen!