Hertha BSC Teamcheck

Analyse & Prognose zur neuen Saison

Autor: Johannes Ketterl Veröffentlicht: Dienstag, 25.07.23 | 07:46
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Will mithelfen, den Abstieg wiedergutzumachen: Florian Niederlechner. © IMAGO / Geisser

Als Hertha BSC im Januar 2020 und damit kurz nach dem Einstieg von Investor Lars Windhorst zur Großoffensive auf dem Transfermarkt blies, schien es undenkbar, dass der Hauptstadtklub dreieinhalb Jahre später nur noch zweitklassig spielt. Doch die jüngere Vergangenheit der Hertha glich einem beispiellosen Absturz, bei dem nicht nur 374 Millionen Euro von Windhorst verbrannt worden sind, sondern darüber hinaus noch ein riesiger Schuldenberg angehäuft wurde, der die Mission Neuaufbau in Liga zwei alles andere als einfach gestaltet.

Obwohl sich bis zum Ende der Transferperiode am 1. September mutmaßlich noch einiges tun wird, gerade auf Seiten der Abgänge auch tun muss, blicken wir wenige Tage vor dem Saisonstart darauf, wie Hertha BSC für die 2. Liga gerüstet ist.

Kommen & Gehen

Bis zum 1. September wird sich im Kader von Hertha BSC noch in beiden Richtungen etwas tun. Während etwa für Dodi Lukebakio und Suat Serdar noch möglichst zahlungskräftige Abnehmer gesucht werden, ist es kein Geheimnis, dass die Berliner sich im Gegenzug gerne noch mit Diego Demme (SSC Neapel) und Serdar Dursun (Fenerbahce Istanbul) verstärken würden, bei deren Finanzierung zusätzliche Einnahmen aber hilfreich wären.

Doch auch so hat sich schon einiges getan. Neben den nur ausgeliehenen Chidera Ejuke (ZSKA Moskau) und Ivan Sunjic (Birmingham City), die keinen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, gehören auch Rune Jarstein, Marvin Plattenhardt, Jean-Paul Boëtius, Kevin-Prince Boateng und Stevan Jovetic (alle noch ohne neuen Verein) nach Vertragsende nicht mehr zum Aufgebot. Ebenso wenig wie Krzysztof Piatek (Basaksehir), Santiago Ascacíbar (Estudiantes de la Plata) und Omar Alderete (FC Getafe), die schon zuletzt verliehen waren. Jessic Ngankam (Eintracht Frankfurt), Lucas Tousart (1. FC Union Berlin) und Maximilian Mittelstädt (VfB Stuttgart) bleiben in der Bundesliga, während Tolga Cigerci nach einem halben Jahr zu Ankaragücü zurückgekehrt ist.

Von den Leih-Rückkehrern haben auch Myziane Maolida (Stade Reims), Alexander Schwolow (FC Schalke 04) und Luca Wollschläger (Rot-Weiss Essen) keine wirkliche Perspektive und sollen noch gehen. Marten Winkler (Waldhof Mannheim), Linus Gechter (Eintracht Braunschweig) und Deyovaisio Zeefuik (Hellas Verona), der in der Vorbereitung positiv überrascht hat, sollen bzw. dürfen sich dagegen beweisen – genau wie eine Reihe von Eigengewächsen aus dem eigenen Unterbau, angeführt von Pascal Klemens, Toyn Rölke und Ibrahim Maza, wobei letzterer erst einmal mehrere Wochen verletzt pausieren muss.

Von den sechs externen Neuzugängen gilt der 18-jährige Flügelspieler Gustav Christensen (FC FC Midtjylland U19) als Investition in die Zukunft. Toni Leistner (VV St. Truiden) in der Innenverteidigung, der vielseitige Jeremy Dudziak (Greuther Fürth) als Linksverteidiger, Flügelstürmer Fabian Reese (Holstein Kiel) und Angreifer Smail Prevljak (KAS Eupen) sollen dagegen sofort weiterhelfen. Das war auch der Plan mit Marius Gersbeck (Karlsruher SC), hinter dessen Zukunft nach dem Eklat im Trainingslager in Zell am See samt Suspendierung aber aktuell ein dickes Fragezeichen steht.

So lief die Vorbereitung

Das erste Testspiel als Zweitligist gewann Hertha BSC beim RSV Eintracht 1949 Stahnsdorf klar mit 6:0 und landete dann auch im kleinen Stadtderby beim BFC Dynamo einen Erfolg, der mit 2:0 allerdings knapper ausfiel. Bei den Young Boys Bern wurde dann mit 0:2 verloren, bevor während des Trainingslagers in Zell am See gleich zwei Mal gegen belgische Klubs getestet wurde – gegen RWD Molenbeek (2:1) und Royal Antwerpen (0:1) mit unterschiedlichem Ausgang.

Bei Standard Lüttich (1:1) folgte der der nächste belgische Härtetest, der am vergangenen Freitag zugleich zu einer durchaus ordentlich verlaufenen Generalprobe wurde.

Stärken & Schwächen

Stärken waren in der jüngeren Vergangenheit bei Hertha BSC rar gesät, einmal abgesehen von der individuellen Qualität einzelner Spieler, die allerdings meist nur sporadisch aufblitzte und nur selten in mannschaftlich geschlossene Auftritte mündete. Aus einer Ansammlung von Einzelspielern wieder ein Team zu fordern, das auch dazu in der Lage ist, das Publikum mitzunehmen, lautet eine der vordringlichsten Aufgaben von Trainer Dardai, der dafür mit seiner Eigenschaft als fleißiger Arbeiter aber beste Voraussetzungen mitbringt.

Sicher kein Vorteil ist es unterdessen, dass der Kader wohl erst Anfang September sein endgültiges Gesicht haben wird und bis dahin auch noch größere Veränderungen möglich sind. Nicht ausgeschlossen etwa, dass potentielle Leistungsträger wie Marc Oliver Kempf oder Marco Richter bei einem interessanten Angebot noch das Weite suchen.

Eine große Chance liegt derweil in den vielen jungen Spielern mit großem Potential, denen die Fans sicherlich eher Fehler verzeihen werden als teuren Einkäufen. Schaffen es auch nur zwei oder drei Talente aus dem eigenen Nachwuchs in den Kreis der Stammspieler, hätte Hertha schon vieles gewonnen – sportlich wie wirtschaftlich.

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Pal Dardai soll nach gescheiterter Rettungsmission den Wiederaufstieg schaffen. © IMAGO / Eibner.

Der Trainer

Im April war Pal Dardai zur Stelle, als Hertha BSC tief im Schlamassel steckend einen Retter suchte und wohl viele andere Trainer dankend abgewunken hätten. Dardai, seines Zeichens Rekord-Bundesliga-Spieler der Berliner, übernahm aber dennoch und trotz seiner Entlassung im November 2021 das Kommando erneut, konnte das Blatt aber nicht mehr wenden.

Der 47 Jahre alte Ungar, der zum insgesamt dritten Mal als Hertha-Cheftrainer fungiert, wurde nach dem Abstieg aber rasch mit der Aufgabe des Neuaufbaus beauftragt. Dabei kann Dardai auf seine drei Söhne bauen. Während Marton (21) im Kader verbleibt und Bence (17) erste Profiluft schnuppert, kehrte Palko vom FC Fehervar zurück.

Man darf aber getrost davon ausgehen, dass Dardai auf dem Trainingsplatz keine Unterschiede zwischen den Spielern macht und auch von seinen Söhnen harte Arbeit sowie Disziplin einfordern wird – immer aber auch gemischt mit einer Portion Humor, für den der in der Außenwirkung zuweilen knorrig erscheinende Ungar intern durchaus auch geschätzt wird.

Der potentielle Shooting-Star

Der ausgerufene „Berliner Weg“ beinhaltet eine deutlich bessere Förderung von Talenten aus dem eigenen Nachwuchs als es in der Vergangenheit der Fall war. An dieser Stelle könnten deshalb einige Namen stehen, die für die Rolle als Shooting-Star in Frage kommen. Besonders trauen wir eine entsprechende Entwicklung aber Marten Winkler zu, nachdem der 20-jährige Offensivmann seine Qualitäten vergangene Saison bereits als Leihspieler im Trikot von Waldhof Mannheim in der 3. Liga gezeigt hat.

Winkler, der 2015 vom 1. FC Union Berlin in den Hertha-Nachwuchs gekommen ist, verbuchte in 31 Drittliga-Spielen neun Tore und fünf Vorlagen. Dabei kam der 1,84 Meter große Linksfuß auf beiden Flügeln und vereinzelt auch als zweite Spitze zum Zug – eine Flexibilität, die die Aussichten auf regelmäßige Einsatzzeiten bei der Hertha sicherlich nicht verringert.

Die mögliche Startelf

Christensen – Zeefuik, Leistner, Kempf, Dudziak – Klemens, M. Dardai – Winkler, Richter, Reese – Niederlechner

Fazit & Prognose

Auf vielen Positionen besitzt der Kader sicherlich die Qualität für den direkten Wiederaufstieg, doch zumindest nach jetzigem Stand nicht überall. Noch ein größeres Handicap aber ist, dass sich bis Anfang September noch weitere Änderungen ergeben werden und Trainer Dardai solange eine Mannschaft nur verbunden mit einigen Ungewissheiten formen wird können. Gelingt Hertha BSC dennoch ein ordentlicher Start, sollte es mit einem danach eingespielten Team möglich sein, weit vorne mitzumischen. Nichtsdestotrotz glauben wir nicht an den direkten Wiederaufstieg, sondern maximal an Platz drei und die Relegation – wofür aber auch schon sehr vieles passen müsste.